Seit Tausenden von Jahren wissen wir, daß der Mensch im Winter langsamer und weniger aktiv ist. Diese Tatsache gilt insbesondere für die Ge-mütsverfassung und die Mitschwingungsfähig-keit des Menschen. Die seelisch-körperlichen Funktionen zeigen also deutliche Veränderungen. Im Okzident, in Europa, im Westen, kurz gesagt im europäischen Kulturbereich, weiß man mindestens seit Hippokrates, daß Menschen - ebenso wie Tiere - spezifischen täglichen und jahreszeitlichen Rhythmen unterworfen sind. Hippokrates selbst empfand diese Tatsache als so wichtig, daß er allen künftigen Medizinstudenten empfahl, sich zunächst einmal den Wandel der Jahreszeiten und die damit einhergehenden Veränderungen in Tieren und Menschen zunutze zu machen. Denn durch das Verständnis der jahreszeitlichen Schwankungen sind auch die dadurch ausgelösten physiologischen und psychologischen Veränderungen besser zu verstehen. Es ist also feststellbar, daß z.B. bestimmte psychologische und körperliche Störungen vor allem im Herbst auftreten, während die Fruchtbarkeit des Menschen im Sommer ihren Höhepunkt erreicht. Der Frühling war schon immer und überall in allen Mythologien, wie auch in der iranischen, die Zeit des Erwachens und Neubeginn des Lebens. Das iranische Neujahrsfest "NOURUS" beginnt mathematisch genau in der Sekunde, wo der Winter zu Ende geht und die Jahreszeit Frühling beginnt. Der Sommer ist die Zeit der Erfüllung. Der Herbst steht für Reife an der Grenze zum Verfall und der Vernichtung. Im Winter befreit sich die Natur von Altem und schafft die Grundlagen für den Neubeginn. Über die Gesundheitsstörungen im Herbst schreibt Avicenna, der iranische Arzt, Philosoph und Dichter: Im Herbst gibt es vermehrt Anaemie (Blutarmut). Obwohl sich am Herbstanfang die geriatrischen Patienten relativ wohl fühlen, ist der Herbst in der 2. Hälfte eine schlechte und ungünstige Jahreszeit für sie. Nach Avicennas Meinung ist der Herbst die ungünstigste Jahreszeit für Lungentuberkulose. (Avicenna, The Canon of Medicine, Book 1, 1990). Zwischen 1897 und 1899 gab es eine belgische Arktisexpedition. Dabei schrieb der amerikanische Arzt F.A. Cook in sein Tagebuch folgende Zeilen: „Der Winter und die Dunkelheit haben sich langsam aber sicher unser bemächtigt. Die trüben Gedanken und die gedrückte Stimmung meiner Kameraden kann ich unschwer an ihren Mienen ablesen. Der schwarze Vorhang, der draußen über die eisige Einöde gefallen ist, hat sich auch drinnen auf unsere Seelen gesenkt. Niedergeschlagen und deprimiert sitzen die Männer am Tisch in melancholische Träume versunken, aus denen sich ab und an einer in müder Aufwallung von Begeisterung herausreißt.“ Ich weiß nicht, warum ich zwischen diesen Zeilen und aufgrund
Avicenna (Pur Sina)
dieser Beschreibung eine Winterdepression annehmen muß. Diese Männer
hatten durch die klimatischen, jahreszeitlichen Bedingungen, durch ihre Isolation,
Beschränktheit von sozialer Beweglichkeit und deutliche Minimierung ihrer
Freiheit einfach eine reaktive und verständlicherweise nachvollziehbare
Depression und sonst nichts. Die amerikanischen Kollegen sehen darin eine Winterdepression.
Großangelegte Studien in den USA selbst zeigen, daß die sogenannte
normale Jahresstimmungsschwankungskurve unter nicht depressiven Menschen fast
genauso verläuft, wie bei den ausgesuchten und sogenannten Herbst-/Winter-Depressiven!
Das heißt also, es ist durchaus, aus medizinisch-psychologischer Sicht
verständlich und als nor-mal zu bezeichnen, wenn alle Menschen in den
Monaten Mai, Juni, Juli und August eine allge-meine Hochstimmung haben, ab
Mitte September aber die Kurve nach unten geht, auch im Oktober und November
bis zum Dezember, wo der Tiefpunkt erreicht ist und bis Mitte Februar auch
so bleibt. Ab Mitte Februar beginnt die Stimmungskurve wieder zu steigen, wobei
dann der Höhepunkt im Juni erreicht wird und mit noch geringfügiger
Steigerung bis Ende August anhält und dann wieder absinkt. Deutliche Schwankungen
besonders in Richtung Tief sind pathologischer Natur und müssen als behandlungsbedürftig
angesehen werden. Hierbei handelt es sich, wie schon erwähnt, um zu depressiven
Verstimmungen neigende Menschen. Heute stellen zahlreiche Wissenschaftler und
Forscher fest, daß Menschen, die unter biorhythmischen Störungen
leiden, in dunklen Jahreszeiten unter anderem plötzliche Stimmungsschwankungen
zeigen. Sie werden also depressiv, haben keine besondere Lust, weiterzuleben.
Dabei haben sie Heißhunger auf Kohlehydrate, Süßigkeiten,
schlafen länger und mehr als früher, nehmen an Körpergewicht
zu, haben weniger Interesse an Sexualität und Zärtlichkeitsaustausch
und neigen dazu, sich zurückzuziehen. Rosenthal und Wehr, zwei amerikanische
Wissenschaftler, nannten diese Erkrankung „Seasonal Affective Disorder“.
Das war 1987. Danach begann die Suche nach SAD-Patienten, zuerst in den USA.
Inzwischen schätzt man die Zahl der an der SAD-Depression Erkrankten auf
etwa 25 Millionen.
Man glaubt mit Sicherheit zu wissen, daß diese erkrankten Menschen unter
einem Mangel an Sonnenlicht leiden. Daher geht man davon aus, daß die
Behandlung dieser Erkrankung darin besteht, die PatientInnen mit Licht, mit
Sonnen-licht zu behandeln oder ihnen eine Helligkeit zur Verfügung zu
stellen, die dem Sonnenlicht ähnlich ist. In Deutschland wird diese Erkrankung
ebenfalls mit SAD abgekürzt, aber in „Saisonal abhängige Depression“ umgewandelt.
Diese typische Herbst/Winterdepression, welche 80 % Frauen und 20 % Männer
befällt, soll im Frühling und Sommer vollkommen verschwinden. Die
80 % der Frauen, die an dieser Erkrankung leiden, sind zwischen 20 und 40 Jahre
alt. Auch Kinder sollen unter dieser Erkrankung leiden können. Nicht nur
das ausgeprägte Krankheitsbild mit allen dazugehörigen Symptomen
soll vorrangig bei Frauen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr zu beobachten
sein, sondern auch Teilsymptome sind bei dieser Altersgruppe am häufigsten
festzustellen. Mit anderen Worten, Frauen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr
haben im Herbst und Winter die meisten Schwierigkeiten mit ihrer Stimmung.
Es ist nicht auszuschließen, daß bei Frauen dieser Altersgruppe
vielleicht die hormonellen Faktoren bei dem Zustandekommen dieser Erkrankung
eine wichtige Rolle spielen. Jedes Jahr in der dunklen Jahreszeit sollen also
Millionen von Menschen, Frauen, Männer und Kinder, während der Herbst-
und Winterzeit regelmäßig unter folgenden Symptomen leiden:
- Stimmungslabilität,
- depressive, traurige Zustände,
- Lust- und Initiativelosigkeit,
- erhöhte Reizbarkeit,
- fehlende Leistungsmotivation,
- Abnahme der Belastbarkeit,
- Unausgeglichenheit,
- allgemeines Schwächegefühl,
- Konzentrationsschwäche,
- Neigung zu sozialer Isolation,
- erhöhtes Schlafbedürfnis,
- fehlende morgendliche Frische,
- vermindertes sexuelles Interesse,
- Heißhunger auf Kohlehydrate,
- Gewichtszunahme.
Die Symptome bei Kindern sind:
- Reizbarkeit,
- Traurigkeit,
- Mattigkeit,
- Konzentrationsstörung,
- Schulleistungsschwäche.
Hier wird jedem Nervenarzt klar, daß die Symp-tome sich geringgradig
oder fast gar nicht von der Major Depression, der endogenen oder zyklothymen
Depression unterscheiden.
Die Behandlung der Herbst-/Winterdepression (SAD) ist zur Zeit weltweit darauf
konzentriert, die Patienten mit hellem weißen Licht mit der Stärke
von mehr als 2500 Lux zu versorgen.
Der genaue Wirkungsmechanismus des Lichts gegen die Herbst-/Winterdepression
ist zwar nicht bekannt, aber diese Therapieart mit hellem weißem Licht
zeigt erwiesenermaßen einen signifikanten antidepressiven Effekt. Die
therapeutische Wirksamkeit dieser Methode wird mit 80 % beziffert.
Hier wird vermutet, daß die jahreszeitabhängige Depression (SAD)
häufig mit erhöhter Mela-toninkonzentration zusammenhängt. Diese
Zu-nahme der Melatoninkonzentration ist wohl auf die kürzeren Tag bzw.
die verminderte Tages-lichtmenge im Winter zurückzuführen. Die In-dustrialisierung
in der modernen Welt und damit verbundene Landflucht der Menschen, um angeblich
ihre Lebensqualität zu verbessern, hat die Menschen leider von außen,
d.h. von direkter Kontaktstelle zur Natur, nach innen, d.h. in Fabrikhallen
und Büroräume verfrachtet. Die Natur war und ist normal und natürlich
tagsüber hell und entspricht unseren körperlichen und seelischen
Primärbedürfnissen. Büroräume, Fabrikhallen schränken
Tageslicht ein und hindern die Menschen daran, ihr Tageslicht, das sie benötigen,
zu bekommen. Eine gewaltsame, einschneidende Veränderung, welche sich
zuungunsten der Menschen ausgewirkt hat. Schließlich hat der helle Tag
und die dunkle Nacht die Biorhythmen, innere Ordnung, Pünktlichkeit und
die rechtzeitigen Funktionen beim Menschen geprägt.
Mit der Zivilisation und Industrialisierung beka-men Millionen von Menschen
schon am Tag we-niger Licht und ihr 24-Stunden-Lichtbedarf wur-
de dramatisch und drastisch reduziert und da-durch ging der natürliche,
menschengerechte Tag-Nachtrhythmus eigentlich verloren.
Der Rückgang der Tageslichtmenge beim Men-schen hat zu zahlreichen Funktionsstörungen
im psychosomatischen, also sowohl zu somatischen als auch psychischen Funktionsstörungen
geführt. Die forschenden Wissenschaftler gehen davon aus, daß etwa
10-20 % der Bevölkerung unter Lichtarmut in pathologischer Weise leiden
(im Herbst und Winter).
Grundsätzlich müssen wir feststellen, daß in den letzten Jahrzehnten
alle Depressionsforschungen,
gleichgültig wo sie stattgefunden haben, sich zur Voraussetzung gemacht
haben, die Beobachtun-gen und Nachforschungen der äußeren Lebens-umstände
der depressiven Patienten nicht außer acht zu lassen. Es ist also wichtig
geworden, die Umgebung der Kranken unter die wissenschaft-liche Lupe zu nehmen,
weil man auch dadurch eine seelische Beeinflussung des Patienten vermutet.
Zu der Umgebung und dem Umfeld der Men-schen gehören natürlich neben
psychosozialen Faktoren auch biologische Gesichtspunkte. Viele forschende Wissenschaftler,
wie S. Kaspar, wun-dern sich darüber, warum lange Zeit die Einbe-ziehung
der physikalischen Umgebung, die zu den biologischen Aspekten gehört,
so vernach-lässigt worden ist. Zu diesen Versäumnissen und ausgeklammerten
Faktoren aus physikalisch-biologischer Sicht gehören z. B. die Verän-derungen
der Jahreszeiten, obwohl die Medizin der alten Zeiten bei allen Kulturvölkern
die Be-deutung der Jahreszeiten für die Entstehung der Stimmungsveränderungen
beim Menschen deut-lich hervorgehoben hatte. Erstaunlicherweise ist diese Ignoranz
bis zum Anfang der 80er Jahre so geblieben. Erst in der heutigen Zeit wurde
in den USA die Erkrankung SAD, saisonal abhängige Depression, durch Rosenthal
und seine Mitar-beiter beschrieben und psychopathologisch cha-rakterisiert
und differenziert.
Versuch einer Wiedervereinigung des Depressionsbegriffes
Wenn wir die Symptome der Major Depression und der Herbst-/Winterdepression
miteinander vergleichen, dann fällt auf, daß die meisten Au-toren
bzw. Forscher, die mit den Herbst-/Winter-depressionen gearbeitet haben, folgende
Defini-tion abgeben:
Wenn in drei aufeinanderfolgenden Jahren ein Mensch in der Herbst-/Winterzeit
depressiv wird, dann leidet er an einer speziellen Erkrankung, welche man saisonal
abhängige Depression nennt. Die Herbst-/Winter-Depressionsforscher geben
weiter an, daß diese Erkrankung, im Gegensatz zur Major Depression, einige
weitere für Depressionen atypische Symptome zeigt:
- Erhöhtes Schlafbedürfnis,
- Heißhunger auf Kohlehydrate,
- Gewichtszunahme,
- speziell Frauen sind von dieser Krankheit be-
fallen.
Wenn wir die angeblich strenge Zeit bzw. die saisonal abhängige Krankheitsdauer
noch hinzu-nehmen, dann gibt es bei der Herbst-/Winterde-pression vier unterschiedliche
Symptome von Major Depressionen. Alle anderen Symptome bei der Herbst-/Winterdepression
haben die gleichen Symptome wie bei der Major Depression, ja sie müssen
die gleichen Symptome haben, sonst würde die Diagnose Herbst-/Winterdepression
in wissenschaftlichem internationalen Sinne nicht mehr stimmen. Soweit die
differente diagnostische Überlegung zwischen anscheinend zwei verschiedenen
Krankheitsbildern.
Nun untersuchen wir die Argumente, die die Verfechter der Herbst-/Winterdepression
hinsichtlich der Entstehungsgründe dieser Erkrankung aufführen: Die
Zivilisation hat die Menschen mehr und mehr von der Natur getrennt und sie
in unnatürliche Räume verbannt. In den USA arbeiteten im Jahre 1900
mehr als 75 % der US-amerikanischen Bevölkerung im Freien. 75 % aller
Amerikaner genossen also tagsüber natürliches, gesundes Tageslicht
draußen im Freien. Im Jahre 1970 waren es dort weniger als 10 % US-Amerikaner,
die immer noch im Freien arbeiteten. Die restlichen 90 % der US-Amerikaner
arbeiteten in künstlich beleuchteten geschlossenen Räumen, wie Büroräumen
und Fabrikhallen. Alle Forscher sprechen unisono von der Entwicklung der Zivilisation
in den Städten, von dem Auszug der Menschen vom Lande in Richtung Stadt
usw. Wenn wir davon ausgehen, daß im Zuge der Industrialisierung der
westlichen und nordwestlichen kalten Welt die Bewohner dieses Teiles der Welt
noch weniger Sonne, Sonnenlicht und Helligkeit bekommen haben, können
wir stark vermuten, daß dieser Sonnenlicht- und Helligkeitsentzug erst
ab dem Jahre 1900 stattgefunden hat, wie die Zahlen aus den USA belegen. Andererseits
können wir in den Biographien von Dichtern, Malern, Musikern, Wissenschaftlern
und Kriegsführern Hinweise finden, die auf depressive Erkrankungen oder
Phasen hinweisen und speziell die Abhängigkeit von der Jahreszeit betonen.
Diese Hinweise sind stellenweise mehrere hundert Jahre alt und haben mit der
Industrialisierung der nordwestlichen kalten Welt nichts zu tun.
Ein Herbst-/Winter-Depressionsforscher müßte einerseits diese Krankheitsbilder als saisonal abhängige Depression bezeichnen, andererseits muß er diese Krankheit nicht im 20. Jahrhundert, sondern zwischen dem 15. - 19. Jahrhundert ansiedeln. In einer Zeit, wo die Voraussetzungen für diese Krankheit eigentlich nicht so recht vor-handen waren. Aus den Biographien vieler berühmter Männer gibt es Hinweise, die man als Depression oder aber auch als saisonal abhängige Depression interpretiert. In Shakespeares Gedichten sieht man am deutlichsten klare Züge einer Depression:
Was ihr wollt V/1
Und als ich, ach! ein Weib tät frein,
hop heisa, bei Regen und Wind!
Da wollt mir müßiggehn nicht gedeihn;
denn der Regen, der regnet jeglichen Tag.
In einer Zeit, wo die Industrialisierung in Nord-west-Europa nicht so fortgeschritten war und über 70 % aller Menschen tagsüber in Büro-räumen und Fabrikhallen gearbeitet haben, näm-lich zwischen 1606 und 1669, schreibt Rem-brandt, „daß er in dunklen Jahreszeiten in dumpfes Brüten über den Sinn des Lebens und der Welt versinke.“ Casanova fühlte sich zwischen 1725 - 1798 in dunklen Jahreszeiten nicht wohl und empfand sich durch „Dämonen des Lustraubes“ deutlich beeinflußt. Wolfgang Amadeus Mozart fühlte sich in dunklen Herbst- und Wintertagen bedrückt und traurig. Bei Johann Christian Friedrich Hölderlin (1770 - 1843) gibt es
J. C. F. Hölderlin
zahlreiche Hinweise, die neben psychotischen Schüben auch depressive Phasen demonstrieren. In diesen depressiven Phasen zeigt Hölderlin Symptome, die noch um 1800, wenn man will, für eine saisonal abhängige Depression sprächen, in einer Zeit, wo die Herbst-/Winterdepressions-forscher diese Erkrankung noch gar nicht vermuten würden:
Hälfte des Lebens
Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Trugt ihr das Haupt
Ins heilig nüchterne Wasser.
Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehen
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahne.
Zwischen 1800 und 1805 schrieb Hölderlin die-ses Gedicht. Damals bekam
Hölderlin die Hellig-keit und das Licht, das alle Deutschen bekommen haben.
Hölderlins Depression ist eine Depression, die sich besonders im Winter
manifestiert.
Arthur Schopenhauer (1788 - 1860) war sein ganzes Leben lang depressiv. Sein
Vater suizi-dierte sich, seine Mutter bezeichnete er als „ohne Gemüt
und Seele“.
Lord Byron (1788-1824) hat in seiner Depression erhöhtes Schlafbedürfnis,
er schläft viel und schreibt: „Das tägliche Erwachen ist ein
Zustand der Verzweiflung.“
Robert Schumann (1810 - 1856) sieht und emp-findet seine Depression ganz klar: „Nachmittags
vergebens zum Arbeiten angestrengt, gestern wieder fürchterliche Gemütszustände,
der Untergang ist nahe....., zum Arbeiten kann ich noch gar nicht kommen, da
Lust fehlt, und die Heiterkeit und auch der Trieb. Manchmal möchte ich
schlafen, Jahre lang.“ Auch Schumann betont sein erhöhtes Schlafbedürfnis.
Albert Einstein (1879 - 1955) war in jedem Win-ter so depressiv, und sein Schlafbedürfnis
so stark, daß er in dieser Zeit seinen Wecker nie hörte und regelmäßig
verschlief.
Um auf die speziellen Symptome der saisonal
Arthur Schopenhauer
abhängigen Depression zurückzukommen und sie unter die Diskussionslupe
zu nehmen, sollten wir uns daran erinnern, daß das erhöhte Schlafbedürfnis,
Heißhunger auf Kohlehydrate, Gewichtszunahme, die strenge Herbst-/Winterbeschränkung
der Erkrankungsdauer und deutliche Frauenbevorzugung der Krankheit von überragenden
Spezialsymptomen abhängig sind, die für die Erkrankung saisonal abhängiger
Depression charakteristisch sind. Leider kann dieses Symptombündel nicht
als charakteristisch für das genannte Krankheitsbild bezeichnet werden.
Fast jeder praktizierende Psychiater kann von seinen zahlreichen Patienten
berichten, die als depressiv Kranke erhöhtes Schlafbedürfnis haben
und ungern das Bett verlassen. Es ist wahr, daß dieses erhöhte Schlafbedürfnis
nicht mit den normalen Bioryhthmen eines gesunden Menschen über-einstimmt.
Die depressiven Patienten, von denen hier die Rede ist, haben ihr erhöhtes
Schlaf-bedürfnis nicht am späten Abend, nicht in der Nacht und auch
nicht am frühen Morgen, sondern am frühen Nachmittag und/oder am
frühen Abend, wo die gesunde Welt in Bewegung ist und alles lebt. Da will
der Depressive flüchten und sich zurückziehen. Dieses unpassende
erhöhte Schlafbedürfnis spricht klar für einen gestörten
Rhythmus. Zahlreiche Depressive geben an, immer wenn sie besonders frustriert
sind, ekstatisch, sinn- und wahllos zu essen. Die Mehr-ahl aller Depressiven
verneinen die Frage, ob in letzter Zeit ihr Appetit geringer geworden ist.
Sie wünschen sich einen weniger ausgeprägten Appetit, damit sie endlich
abnehmen, weil sie in letzter Zeit, seitdem sie depressiv sind, auch zu-genommen
haben. Diese Fragen und Antworten bringen das gleiche Ergebnis auch im Frühling
und Sommer. Auch für Laien ist es im Grunde genommen verständlich,
wenn in dunklen, son-nenarmen Zeiten des Jahres die Depressionen am meisten
spürbar werden. Der Verdacht liegt nahe, daß alle die Patienten,
die als herbst-/winter-depressiv gelten, zwar ihre Erkrankung besonders stark
im Herbst und Winter zu spüren bekommen, aber nicht immer im Frühling
und Sommer depressionsfrei sind. Es ist weiterhin zu vermuten, daß auch
bei sogenannten Herbst-/Winterdepressiven die Neigung zu Depressionen und die
Anfälligkeit dafür eine Lebensart ist, gleichgültig wodurch
auch immer festgelegt oder vorbestimmt. Es ist schwer vorstellbar, daß die
depressiven Stimmungszustände mit ihrer Symptomatik bei dem Krankheitsbild
der saisonal abhängigen Depression als Voraussetzung die Symptome der
Major Depression anbieten müssen aber völlig andere Entstehungsmechanismen
haben sollen! Schließlich heißt die Major Depression in Deutschland
doch Zyklothyme Depression. Auch diese Depression verläuft zyklisch, phasisch
und wenn man will
Albert Einstein
auch saisonal. Es ist also davon auszugehen, daß eine total spezifische, solitäre Erkrankung, die saisonal abhängige Depression oder seasonal affective disorder, nicht unabhängig ist von der Major Depression oder Zyklothymen Depression. Wir nehmen an, daß bei den meisten Depressionen im allgemeinen alle theoretischen Entstehungsmechanismen von saisonal abhängiger Depression wie:
- Melatoninhypothese,
- Retina-Empfindlichkeitshypothese,
- Neurotransmitterhypothese
mehr oder weniger stimmen und eine wichtige Sicht für die Erkennung der
Entstehung der De-pression darstellen. Alle Depressionsformen sind rhythmenabhängige
biologisch verfolgbare, klimatisch und kosmisch begründbare traurige Verstimmungen.
Wenn diese biorhythmischen Veränderungen mit wenig Erlebnismäßigem
be-frachtet sind, dann erscheinen sie als rein bio-logisch, rhythmologisch,
organisch und mit Na-tur-Direkt-Verbundenem und sind saisonal ab-hängig.
Wenn in diesen biorhythmischen Syste-men auch depressive oder depressiv gefärbte
Ereignisse im Leben eines Patienten eine über-geordnete Rolle spielen,
dann hat die depressive Erkrankung den Anschein einer Major Depres-sion.
Alles spricht also dafür, daß es wichtig ist, erst eine Depression
oder depressive Verstimmung zu erkennen, und zu wissen, daß diese Erkrankung
sowohl aufgrund gestörter Biorhythmen, als auch psychisch negativer Erlebnisse
entstehen kann. Es gibt sowohl physiologische als auch psychologische Gründe,
die wir bei der Entdeckung der Depression suchen müssen. Psychische und
somatische Funktionsstörungen sind Folge der Erkrankung, die auch Therapien
und Behandlungsformen bedingen, die sowohl die Psyche als auch die Soma im
Auge behalten und berücksichtigen. Die Behandlung der Depression muß also
logischerweise aus physiologischen, chemischen und psychologischen Elementen
bestehen. Dafür bieten Lichttherapie, Psychopharmakatherapie und Psychotherapie
gute Möglichkeiten. Wobei auch die mögliche Kombination unter diesen
dreien besteht. Viele Forscher haben schon in den letzten 10 Jahren darauf
hingewiesen, daß z.B. die Lichttherapie bei der Major Depression eine
rasche antidepressive Wirkung zeigt ( Peter et al 1986, Heim 1988, Fleischhauer
et al 1988 und Dietzel 1986).
Es gibt auch schon wissenschaftliche Hinweise darauf, daß eine günstige
Wirkung bei gleich-zeitiger Anwendung von Lichttherapie und antidepressiver
Medikation bei der Major Depres-sion eindeutig zu beobachten ist. Neurophysi-logische
Untersuchungen haben gezeigt, daß ein früheres Auftreten der Leistungsverbes-serung
bei kognitiv-psychometrischen Funktionen zu verzeichnen ist, wenn bei der B-handlung
von Major Depressionen Lichttherapie zusammen mit Trimipramin (ein Antidepressivum)
eingesetzt wird. Auch schlafpolygraphische Veränderungen zeigen tendenziell
eine frühere Verbesserung der Schlafkontinuität, wenn ein Antidepressivum
zusammen mit Lichttherapie eingesetzt wird.
Fazit
Wir gehen davon aus, daß die Erfindung von Herbst-/Winterdepression zwar
die Depressions-forscher auf erhöhte Beachtung der Bedeutung von Rhythmik
aufmerksam gemacht, aber defi-nitiv keine neue Erkrankung, keine neue Pathogenese
usw. und damit auch keine spezifisch neue Therapieform einer neuen Erkrankung
demonstriert hat. Die Herbst-/Winterdepression ist eine amerikanische Erfindung,
welche kulturell und damit wissenschaftlich verständlich wird, wenn man
bedenkt, daß Amerika, USA oder die Vereinigten Staaten erst seit etwa
200 Jahren überhaupt als multikulturelles Volk gilt. In diesen 200 Jahren
haben die Amerikaner wissenschaftliche, eher naturwissenschaftlich-technische
Leistungen erbracht, die nirgendwo auf der Welt zu finden sind und zu erbringen
wären. Alle diese Leistungen sind praktische, von logischen Gedanken angestiftete
Handarbeiten, die überhaupt nicht darauf angewiesen waren, Aspekte wie
Mythologie, Archäologie, Psychoanalyse des Unbewußten und alte Religionen
usw. in Betracht zu ziehen.
Dieses Dilemma der unverschuldeten „Kultur-losigkeit“ und „Traditionslosigkeit“ des
wissen-schaftlichen Forschens, zeigt sich permanent in den Wissenschaftsbereichen
wo archetypische Kulturvorstellungen eine starke Rolle spielen. Die Betrachtung
der Depression, z. B. aus ameri-kanischer Sicht ist eine Gehirnerkrankung mit
Stoffwechselstörungen, die durch Blutzufuhr ir-gendwelcher Stoffe zuviel
oder zuwenig hin zum Gehirn transportiert oder entfernt. Biologisch, biochemisch
ist auf amerikanische Art die De-pression soweit erklärt, so daß die
Forscher an-fangen könnten die Stoffe ausfindig zu machen, die diese Stoffwechselstörungen
verursachen. Der europäische, der deutsche Forscher ist damit jedoch nicht
zufrieden. Nicht allein deshalb sagt er, der etwas gescheiter ist als der amerikanische
Forscher, nein. Er ist damit nicht einverstanden, weil die Denkmotivationen
eines deutschen For-
schers so durch die europäische Kulturarchetypen geprägt sind, daß er
gezwungen ist, die kulturellen Vorstellungen seiner Urahnen aus Tausenden von
Jahren mit in seine Forschungen einzubeziehen.
Die Depression ist für einen deutschen Gelehrten eine Variante der Weltanschauung.
In dieser Weltanschauung kommen die verschiedensten Aspekte einer relativ langen
Kulturtradition zum Tragen, die verblüffende Symptome einer De-pression
tragen, welche vielen amerikanischen Forschern inzwischen total unbekannt sind
und ihnen als Information unnötig erscheinen. Der folgende Sachverhalt
ist jedem europäischen Menschen schon immer im Unterbewußtsein vorhanden
gewesen, aber C.G. Jung hat dies klar auf den Punkt gebracht.
Ein Phänomen, welches jeden amerikanischen Depressionsforscher an die
Wand der Verblüf-fung und des Unverständnisses drückt, wo Jung
von negativen Archetypen spricht, sagt er: „Der Mensch, der denkende
Mensch kommt schon mit ererbten menschlichen negativ besetzten Archetypen zur
Welt, besitzt also negative, durch menschliches Schwachsein beeinflußte
Denk-maßstäbe und beurteilt deshalb die Phänomene ’Welt
und Leben’ a priori eigentlich negativ.“ Fast jedes unkontrollierte,
triebhafte Nachdenken über diese Phänomene, die man „philosophieren“ nennt,
führt zwangsläufig zur Depression, Trau-rigkeit, Hilflosigkeit und
Hoffnungslosigkeit. Er hat auch mehrere Gründe dafür:
a) Vertreibung aus dem Paradies,
b) Kapazitätsbegrenzung unseres Gehirns,
c) die Frustration und der Zorn auf unsere Mutter, von ihr in die Welt geworfen
worden zu sein, allein und auf sich selbst gestellt.
Eine wissenschaftliche Forschung über Depres-sionen eines Menschen ist
für uns unmöglich, wenn wir die Mythologie, Archäologie, Philoso-phie
und die Religionsgeschichte auslassen, ohne daß wir Biologie, Biochemie,
Medizin und Phar-makologie vergessen.
Aus diesem Grund erscheint mir verständlich, daß die Amerikaner
die Anhäufung der Depres-sionen in dunkleren und sonnenscheinärmeren
Tagen und Monaten isoliert betrachten und neue Hoffnungen daraus schöpfen,
eine neue Erkran-kung entdeckt zu haben, die man erfolgreich behandeln kann.
Wir werden zu untersuchen haben, ob diese „Entdeckung“ mehr eine „Erfindung“ ist
oder nicht. Wir werden zu untersuchen haben, ob die Symptome der sogenannten
Herbst-/Winterde-pression ähnliche Symptome einer zyklothymen oder endogenen
Depression sind oder nicht.
Ich persönlich bin bei der weltweiten Diskussion hierüber bereichert
worden, indem ich seither noch mehr auf Störungen der Lebensrhythmen bei
depressiv Erkrankten achte und nach meinen Studien die Überzeugung gewonnen
habe, daß die Lichttherapie nicht nur für die sogenannte amerikanische
Herbst-/Winterdepression von großem Nutzen ist, sondern daß jede
Depression und jeder depressive Zustand, welcher mit Lebensrhythmusstörung
einhergeht, mit Lichttherapie zu behandeln ist.